Schutzengel

 

Nur einen Augenblick der Unaufmerksamkeit - und es passierte.

   "...Autobahn A3 Köln Frankfurt in Höhe Montabaur Gefahr durch überfrierende Nässe, es haben sich bereits zahlreiche Unfälle ereignet ... in den Höhenlagen des Westerwaldes geschlossene Schneedecken, wir bitten um vorsichtige Fahrweise."

   Ich hatte den Radiodienst noch im Ohr. Hahn am See - mit dem Ortsschild sah ich die geschlossene Schneedecke, die genau in der Rechtskurve zum Ortseingang begann. Meine Hände krallten sich um das Lenkrad, und ich trat das Bremspedal mit aller Kraft durch. Der Wagen, ein alter Ascona mit Heckantrieb, rutschte quer zur Fahrbahn. Ich versuchte gegenzulenken, den Wagen irgendwie wieder unter Kontrolle zu bekommen, vergeblich. Ich war wie der Esel auf dem Eis, ein Opfer, ein Spielball der Naturgewalten. Pedale, Schalter, Hebel, Lenker gehorchten nicht mehr.

   Das auch mein Zeitgefühl nicht mehr funktionierte, beunruhigte mich mehr, als das immer schneller kreiselnde und über den Schnee rutschende Auto.

   Die Stunden der Fahrt schmolzen zu Sekunden und verwischten wie die Schneeflocken auf der Frontscheibe.

   Meine Augen brannten vom ständigen Geradeausstarren in die Dunkelheit, durch eine verschmierte Scheibe, über die monoton ein nur noch im Schnelllauf funktionierender Scheibenwischer huschte.

   Und die Sekunden des Unfalls dehnten sich wie Kaugummi. Endlos. Ich war ein Gefangener, nicht nur der Zeit. Immer wieder drehte sich mein Ascona um seine Achse, bis er dann über den Fahrbahnrand hinausschoss und krachend in einem Haufen zersägter Obstbäume steckenblieb.

   Ich sah ein riesiges weißes Etwas aufflattern, gleichzeitig spürte ich einen eiskalten Hauch durch den Wagen streifen. Gequält jaulte der Motor noch einmal auf. Dann war es dunkel. Erleichtert genoss ich die Ruhe und den Stillstand.

   Zitternd steckte ich mir eine Zigarette an. Irgendetwas hinderte mich beim Aussteigen, und ich kletterte über die Beifahrerseite nach draußen.

   "Alles klar mit dir? Noch jemand im Wagen?" ein älterer Mann sprang mir mit einer Taschenlampe entgegen und leuchtete ins Wageninnere, da ich nicht sofort antwortete.

   "Bin allein, alles ok, würden sie mich mitnehmen? Ich bin im nächsten Dorf zu Hause."

..."Mensch Junge - hast du ein Glück gehabt..." mit dem Strahl seiner Taschenlampe fuhr er an dem armdicken Ast entlang, der sich neben dem linken Scheinwerfer durch den Motorraum, ins Wageninnere, vorbei am Fahrersitz bis in die Rückbank gebohrt hatte...

 

Frank Klein